DE / HU

Die Rolle der Eltern des Kindes, der Gewalt erlebt

 

Wenn ein Kind Gewalt erlebt, endet die Geschichte nicht am Tor des Kindergartens. Das Kind trägt die Erfahrung mit nach Hause – und plötzlich fühlt es sich für die Eltern an, als müssten sie eine schwere, unsichtbare Last tragen.

 

Sie sind die Ersten, die die Worte des Kindes hören. Sie sehen die Wunden – auch wenn diese unsichtbar sind. Eltern sind gleichzeitig außen und innen: sie haben nicht gesehen, was passiert ist, tragen aber dennoch die Konsequenzen. Als stünden sie gleichzeitig am Ufer und im Wasser.

 

Die Aufgabe der Eltern ist nicht, Regeln aufzustellen oder Ordnung zu halten. Sie sind das Warnsignal, die Brücke, die Stütze. Eine Verbindung zwischen Kind und Außenwelt. Aber diese Brücke ist keine neutrale Struktur. Sie besteht aus Gefühlen und wird von den tiefsten Bindungen zusammengehalten: Liebe, Sorge, Fürsorge und Hoffnung.

 

Die Illusion der „einfachen Lösungen“

 

„Sprechen Sie mit Ihrem Kind“ – klassischer Rat. Oft wird jedoch übersehen, dass viele Eltern verzweifelt versuchen, mit ihrem Kind zu sprechen, das Kind aber nicht kann oder nicht will über die Erlebnisse sprechen. Es zieht sich zurück, wird trotzig oder lenkt ab.

 

„Sprechen Sie mit den Eltern des anderen Kindes“ – theoretisch eine gute Idee. In der Praxis bedeutet das jedoch oft Konfrontation mit Eltern, die ihr eigenes Kind verteidigen; emotionale Konflikte am Kindergartentor und das Risiko, dass die Situation sich verschlimmert statt verbessert.

 

„Dokumentieren Sie alles“ – ein rationaler Vorschlag. Aber wie kann eine Mutter „objektiv“ dokumentieren, während sie ihr weinendes Kind im Arm hält? Wie soll ein Vater „sachlich“ alles aufschreiben, wenn sein Sohn wieder mit blauen Flecken nach Hause kommt?

 

Die Falle der guten Absichten

 

„Bewahren Sie Ruhe.“ „Bleiben Sie objektiv.“ „Lassen Sie Ihr Kind es selbst lösen.“ „Greifen Sie nicht sofort ein.“ – solche Sätze hören Eltern, deren Kind Gewalt erlebt, immer wieder – von Erzieher:innen, Psycholog:innen, Lehrer:innen und anderen.

 

Ein Fachkraft arbeitet tatsächlich so: hält Abstand, beobachtet objektiv, bleibt emotional außen vor. Die Ratschläge sind gut gemeint, fachlich fundiert und theoretisch oft richtig. Aber sie haben einen grundlegenden Fehler: sie ignorieren die Realität des Elternseins.

 

Eltern sind 24/7, sieben Tage die Woche Eltern. Sie sind keine Außenstehenden. Sie können ihre Sorgen nicht „abschalten“. Das weinende Kind, die schlaflosen Nächte gehören zu ihrem Leben. Es kann nicht erwartet werden, dass Mütter oder Väter sich wie professionelle Helfer verhalten.

Diese ständige emotionale Bereitschaft ist kein „Problem“, das Eltern lösen müssen – sie ist die Essenz des Elternseins. Diese Bindung ist keine Schwäche. Sie ist das Sicherheitsnetz, das das Kind trägt und ihm die Kraft gibt, wieder aufzustehen.

 

Die emotionale Unmöglichkeit

 

Eltern hören oft: „Zeigen Sie Ihrem Kind nicht, dass Sie wütend oder ängstlich sind.“ Dieser Rat übersieht die emotionale Bindung innerhalb der Familie. Wenn Eltern besorgt sind, spürt das Kind es – egal wie sehr sie es verstecken wollen. Kinder sind emotionale Seismographen: Sie nehmen jede kleine Veränderung in der Stimmung ihrer Eltern wahr.

 

Von Eltern zu erwarten, dass sie ihre Angst und Sorge „ausschalten“, ist so, als würde man erwarten, dass sie aufhören zu atmen. Die Sorge um das eigene Kind ist kein „Problem, das gelöst werden muss“ – sie ist der Beweis für eine gesunde Eltern-Kind-Bindung.

 

Die Würde der elterlichen Sorge

 

Wenn ein Kind missbraucht wird, leidet nicht nur es selbst, sondern die ganze Familie. Diese Sorge ist der Ausdruck der tiefsten menschlichen Verbindung.

Das Verständnis der Komplexität und Einzigartigkeit der Elternrolle ist ein Grundstein für die Kommunikation mit Eltern.

 

Eltern verdienen Unterstützung, die ihre Gefühle anerkennt – nicht Ratschläge, die sie zu etwas formen wollen, was sie nie waren, nie sein werden und auch nicht sein müssen.

Die Lösung besteht darin, professionelle Hilfe so zu gestalten, dass sie versteht: Liebe und Sorge sind keine Hindernisse für gute Entscheidungen, sondern ihre Grundlage.

 

Eine neue Sichtweise entwickeln

 

Eltern sind keine „unvollständigen Fachkräfte“, die professioneller gemacht werden müssen. Sie sind Menschen, die in einzigartiger Verbindung zu ihrem Kind stehen, mit anderen Stärken und Grenzen als professionelle Helfer.

 

Statt zu urteilen: „Die Eltern sind zu emotional“, sollten wir anerkennen: „Die emotionale Bindung der Eltern ist eine Ressource, keine Schwäche.“

 

Wenn wir die Eltern in ihrer Rolle sehen – als Partner, mit den Stärken ihrer emotionalen Bindung –, kommen wir vielleicht dem Ziel näher, dass Kinder wirklich sicher sind: Denn Liebe und Verantwortung halten sie gleichzeitig.

 

Vertrauen wir wieder mehr in die Natürlichkeit der Eltern-Kind-Beziehung, anstatt ständig „zu optimieren“. Die Eltern-Kind-Beziehung ist kein Apparat, der immer besser funktionieren muss, sondern von Natur aus emotional, unvollkommen und doch ein schützendes Netz für das Kind.

 

Bewertung: 0 Sterne
0 Stimmen